Die Sache mit den Überholabständen

Kommen wir zur nächsten Änderungsempfehlung der Bundesratsausschüsse zur StVO-Novelle. Ich habe hier im Blog ja schon mehrfach angemerkt, dass ich persönlich die festgeschriebenen Überholabstände für weitestgehend überflüssig und in der Summe auch kontraproduktiv bzw. gefährlich halte, weil damit zusätzliche „Anreize“ geschaffen werden, den Radverkehr vor allem auch außerorts zunehmend und grundlegend vom öffentlichen Straßennetz auf schmale Ra(n)dwege zu verdrängen. Der Innenausschuss des Bundesrates möchte die geplante Regelung ein wenig aufweichen, wonach vor allem die 2 Meter außerorts nur „in der Regel“ einzuhalten seien. Beim Unterschreiten des Mindestabstands wird eine mäßige Geschwindigkeit und äußerste Vorsicht gefordert.

Außerdem bin ich der Ansicht, dass das Thema Überholen generell in seiner Bedeutung maßlos überschätzt wird. Ja, in meinen Alltagserlebnissen steht der Zähler in dieser Kategorie mit Abstand an der Spitze. Das liegt aber auch daran, dass ich hier nicht in einer extrem verradwegten Gegend oder Stadt lebe. Denn dann würden sicherlich die Zähler in den Kategorien „Abbiegen“ oder „Vorfahrt“ nicht unter ferner liefen vor sich herumdümpeln. In der Summe ist Überholen mit wenig Seitenabstand zwar lästig und respektlos – aber nur in den allerseltensten Fällen wirklich „gefährlich“. Jedenfalls ist es mir auf meinen deutlich über 300.000 km (überwiegend außerorts) immer noch nicht passiert, dass man mich mit dem Rückspiegel gestreift hätte.

Damit wird auch die generelle Fahrbahn-Paranoia vieler Radfahrer weiter gesteigert, die ja vor allem Angst davor haben, von hinten „abgeschossen“ oder gestreift zu werden. Das wiederum führt zum Ruf nach „Infrastruktur“, die mir persönlich den Spaß am Radfahren mehr vergällt, als es 1000 Engüberholer jemals bewirken könnten.

Leider jammert die Radfahrer-Bubble bei Twitter nicht großartig über die Quasi-Abschaffung des § 45 (9), sondern über diese relativ geringfügige Aufweichung der Überholabstände. 🙁

Nun denn. Die Empfehlung Nr. 3 lautet:

a) In Satz 3 sind die Wörter „mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m“, durch die die Wörter „mindestens 1,5 m und außerorts in der Regel mindestens 2 m; das gilt auch für das Überholen von sowie das Vorbeifahren an Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden, die auf Schutzstreifen und Radfahrstreifen verkehren.“ einzufügen.

b) Satz 4 ist durch folgende Sätze zu ersetzen:

„Wird dieser Mindestabstand unterschritten, ist mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht zu überholen. An Kreuzungen und Einmündungen kommen Satz 2 und 3 nicht zur Anwendung, sofern Rad Fahrende dort wartende Kraftfahrzeuge nach Absatz 8 rechts überholt haben oder neben ihnen zum Stillstand gekommen sind.“

Aus der Begründung:

Ein ausreichender Seitenabstand ist ein grundsätzliches Erfordernis im Sinne der Verkehrssicherheit. Nach der bisherigen abstrakten Regelung muss schon jetzt (gemäß § 5 Absatz 4 Satz 2 StVO) beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Eine pauschale Abstandsfestlegung für Inner- und Außerorts erscheint nicht sachgerecht und realistisch zielführend, da ausreichende seitliche Abstände grundsätzlich von der jeweiligen Verkehrssituation, den Geschwindigkeitsverhältnissen sowie der Infrastruktur beeinflusst werden.

Da bin ich mit meiner Ansicht nicht weit von weg. Ich halte generell nichts davon, gerade das Überholen als DIE Gefahrenquelle darzustellen. Daraus resultiert letzten Endes nur der ewige Ruf nach Separation. Außerdem ist die Unterscheidung von innerorts und außerorts meiner Ansicht nach auch ein wenig zu pauschal; schließlich gibt es auch außerorts Straßen und Abschnitte, die eben nur mit 70 km/h50 km/h oder gar noch weniger befahren werden dürfen. Bei geringerem Tempo habe ich mit engeren Abständen auch kein wirkliches Problem.

Die infrastrukturellen Bedingungen würden vielfach jegliches Überholen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden von vornherein ausschließen. Es ist zu erwarten, dass derartige Situationen das Konfliktpotential zwischen unterschiedlich schnellen Verkehrsteilnehmern unangemessen erhöhen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass ausschließlich der Kraftfahrzeug Führende Adressat der Regelung ist.

Auch das ist sachlich nicht ganz falsch; vor allem auf vielen Landstraßen mit schmäleren Querschnitten wird das regelkonforme Überholen quasi völlig verunmöglicht. Wie zum Beispiel entlang der nur 4 Meter schmalen L 101 im saarländischen Bickenalbtal südlich von Peppenkum, auf der auch deshalb abschnittsweise nur mit 60 km/h gefahren werden darf (siehe das Beitragsbild).

Konsequenz wäre, dass Radfahrer bei jeder Gelegenheit rechts ranfahren und den Pulk vorbeilassen müssten. Nein, Danke! Da lasse ich die Leute sehr gerne auch mit 75 cm oder zur Not auch noch weniger an mir vorbeifahren, wenn sie sowieso schon auf mein Tempo abgebremst hatten. Aber: „darf“ ich zukünftig als Radfahrer überhaupt auf mein „Recht“ verzichten, mit 1,50 oder 2 Meter Abstand überholt zu werden?

Der „Seitenhieb“, dass die Überholabstände nur für Kfz-Nutzer gelten sollen, ist meiner Ansicht nach ebenfalls berechtigt. Stürze wegen zu engem Überholen können auch zwischen Radfahrern passieren – und wenn es besonders blöd läuft, auch tödlich enden. Ich finde es daher wirklich ein wenig bigott, von Kfz-Nutzern satte 2 Meter außerorts zu fordern – aber wenn man in der Stadt auf so einen schmalen 2-Meter-Radfahrstreifen eingesperrt wird, saust man dann selber gerne mit 20 cm Abstand an Oma Elfriede vorbei.

Konfliktpotenziale sehe ich hier in der Praxis keine; diese Regelung wird täglich einfach mehrere hunderttausend Mal gebrochen werden – wie z. B. auch die beim Überholen von Radfahrern stets missachtet werdenden durchgezogenen Linien. Ich erlebe es vielleicht in einem Promille der Fälle, dass eine Solche einen Autofahrer vom Überholen abhält.

Aus diesen Gründen wird vorgeschlagen zwar die Werte von 1,50 Meter innerorts und 2,00 Meter außerorts in der StVO zu verankern, jedoch nur als in der Regel einzuhaltende Mindestabstände, von denen in bestimmten Fällen abgewichen werden darf.

Wenn ihr das auch für innerorts haben möchtet, müsstet ihr Experten den Satz aber noch einmal umformulieren, denn das „in der Regel“ bezieht sich nach meiner Lesart nur auf außerorts.

Ebenso wird eine starre Regelung hinsichtlich der praktischen Durchsetzung und Verkehrsüberwachung sowie einer beweis- und rechtsfesten Ahndungsmöglichkeit polizeilich kritisch bis nicht realisierbar gesehen. Unabhängig von einer praktischen Prüfmöglichkeit bedingt eine derartige Regelung die Definition von Messpunkten zwischen den Verkehrsteilnehmenden.

Das Unterschreiten von Mindestabständen ist sehr wohl aufgrund der Breite der Fahrbahn und anderer Indizien (Fahrzeugbreite, Markierungen usw.) in einem ausreichenden Maße feststellbar. Dazu muss auch nicht auf den Zentimeter genau gemessen werden, denn unterschritten ist unterschritten. Mittels Video- und Foto-Forensik lässt sich ebenfalls relativ eindeutig beweisen, dass Abstände im Einzelfall nicht eingehalten worden sein können.

Ein Problem, welches ich hier noch sehe ist, ab welchem Zeitpunkt und für wie lange der Mindestabstand eigentlich gelten soll? Wenn der Radfahrer (z. B. wegen eines Schlaglochs) genau im Moment des Vorbeifahrens einen Schlenker nach links macht, kann man das ja nicht wirklich dem Autofahrer anlasten.


Update 10. Februar 2020

Nachgetragen sei der Link zu diesem Twitter-Video der sogenannten „Protected bike lane“ in der „Hasenheide“ Berlin (siehe auch die Grafik zu dessen Planung) und der Qualität der dort stattfindenden Überholvorgänge zwischen Radfahrern. Für mich nur eine Frage der Zeit, bis sich dort Radfahrer schwer verletzen; auch dadurch, dass sie mit dem Lenker an den Stahlpollern hängenbleiben oder gegen jene stürzen.

Der darunter befindliche Kommentar eines gewissen Bundesgeschäftsführers eines sogenannten „Fahrradclubs“ löst bei mir mal wieder eine gewisse Form von Fremdscham bzw. Brechreiz aus.

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