Der ignorierte Völkermord in Gaza

Es war einer der letzten Beiträge, welchen ich im Jahre 2023 vor der zweiten und finalen Schließung des DS-Pektiven-Blogs verfasst hatte. Zwei Tage nach dem „7. Oktober“ musste ich meiner Abscheu Ausdruck verleihen, wie ein nicht unerheblicher Anteil aus der Corona-Kritiker-Szene mit ihren ganz persönlichen „Bildern aus Bergamo“ wieder auf Linie gebracht wurde. Es waren überwiegend jene eher rechtslastigen Konservativen, mit denen mich auch sonst nicht viel verbunden hatte. Eine Woche nach den Ereignissen verfasste ich einen Beitrag über meinen eigenen 11. September 2001. Seit über 1,5 Jahren wird im Gazastreifen ein wehrloses Volk niedergemetzelt – und faktisch niemanden interessiert es.

Seit letzten August bin ich ja bei X angemeldet. Und die Berichte aus Gaza schockieren mich jeden Tag. Was mich nicht minder schockiert, ist die Ignoranz eines Großteils der Bevölkerung. Vor allem eben auch aus der Szene der einstmaligen Corona-Kritiker. Von den meisten habe ich mich ob deren offener Unterstützung des rechtsradikalen israelischen Regimes inzwischen vollständig getrennt. Was man ganz allgemein regelrecht mit der Lupe suchen muss, sind Menschen, die sich gegen dieses Unrecht in einer ähnlichen Weise zur Wehr setzen, wie sie es damals gegen den Corona-Totalitarismus taten.

Auch hier gilt wohl meine allgemeine Lebenserfahrung, dass die allermeisten Menschen sich nur dann gegen himmelschreiendes Unrecht auflehnen oder positionieren, wenn sie selbst davon betroffen sind. Mit seiner „Solidarität“ geht man ansonsten äußerst spärlich um. Selbst dann, wenn dem Unrecht jegliches Maß völlig verloren geht, wie es derzeit in Gaza (aber u. a. auch im Libanon, Syrien und dem Westjordanland) der Fall ist.

Was mich ebenfalls schockiert, ist die Unfähigkeit und der fehlende Wille, die Unverhältnismäßigkeit dessen, was einem zwischen 2020 und 2023 angetan wurde, auf das Geschehen im Gazastreifen zu übertragen. Ja, das, was uns angetan wurde, war schlimm. Diese psychologische Kriegsführung gegen den menschlichen Verstand hatte eine neue, bislang ungeahnte Qualität, mit der das gewohnte Maß korporatistischer Bösartigkeit auf ein neues Level gehievt wurde.

Dennoch war das im Vergleich zur brachialen und ursprünglichen Form, mit der die Menschen in Gaza seit über 1,5 Jahren systematisch massakriert und ausgehungert werden, nichts. Absolut gar nichts. Ein Fliegenschiss. Jammern auf hohem Niveau wohlstandsverwahrloster Westler. Während wir auf eine „zivilisierte“, überwiegend psychologische Weise terrorisiert wurden, werden die Menschen in Gaza mit den althergebrachten physischen Werkzeugen der Kriegsführung terrorisiert.

Das „Praktische“ hierbei: Die Menschen in Gaza sind eingesperrt. Sie können vor diesem Terror noch nicht einmal fliehen. Folglich braucht sich der tendenziell xenophobe deutsche Michel ja auch keine Sorgen machen, dass er hier noch von ein paar weiteren Flüchtlingen belästigt werden könnte. Flüchtlinge, die es ganz allgemein ohne die imperiale Politik des Westens (zu dem das von den USA hochgerüstete und politisch protegierte Israel gehört), gar nicht geben würde.

Doch für die meisten Wegbegleiter aus Corona-Zeiten ist das Thema Gaza unwichtig. Selbst jene, die sich zumindest grundsätzlich gegen den Genozid in Gaza positionieren, reiten weiterhin auf dem (leider schon längst zu Tode gerittenen) Corona-Thema herum. Vielleicht auch, weil es das einzige politische Thema ist, welches ihnen überhaupt eine Bedeutung verliehen hatte. So war das ja am Ende auch bei mir und meinem wert- und sinnlosen Geschreibsel in Sachen Corona.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich seit jeher nicht als Teil dieser unmenschlichen und eiskalten „Gesellschaft“ betrachtete; mich immer als Fremder im eigenen Land fühlte. Mir nichts darauf einbilde, „Deutscher“ zu sein. Ich den Wert von Menschen nicht danach beurteile, wo sie herkommen oder wo sie leben. Mich Grenzen und Nationen nicht wirklich interessieren.

Ich mich aufgrund meiner sozialen Isolation und der mir ebenfalls ein Leben lang widerfahrenden Ignoranz, meiner Armut, dem mir angetan werdenden Unrecht und meiner einfachen Lebensweise viel eher mit Menschen identifizieren kann, die auf einem Landstrich am Mittelmeer eingesperrt – und der Willkür einer fremden Macht hilf- und schutzlos ausgeliefert sind.

In meinem X-Feed tauchen von all den weiterhin geschätzten Usern faktisch keinerlei Posts zum Thema Gaza auf. Keiner macht den Mund auf. Keiner schreit laut dagegen auf. Die einzige, die mir dort positiv auffällt, ist die Künstlerin Nina Maleika. Und das war es dann auch schon. Der große Rest verhält sich zum Thema Gaza wie sich damals die Masse der Mitläufer und -täter in Sachen Corona verhielt. Man schweigt weitestgehend.

Obwohl man es selbst am eigenen Leib und Geist erfahren hat, wie schmerzhaft es sein kann, vom Rest der Gesellschaft einfach ignoriert und im Stich gelassen zu werden, macht man es bzgl. der tagtäglich bombardiert werdenden und verhungernden Menschen in Gaza genauso. Und verwirkt somit selbst jeden Anspruch auf Solidarität, wenn man selbst mal wieder ungerecht behandelt wird.

Wenn diese westliche „Zivilisation“ eines auszeichnet, dann genau das: Ignoranz. Hoffentlich erstickt sie irgendwann einmal daran.

Schreibe einen Kommentar