Pönale Quoten in Staatsanwaltschaften

Eine der ersten Passagen aus interessanten Videos, die ich hier im Blog transkribiert hatte,war eine vom damals noch seinen Professorentitel tragenden Juristen David Jungbluth in einem Beitrag über die politische Justiz in Deutschland. Im April unterhielt er sich mit Jens Lehrich am Vorabend der Abstimmung über die „Impfpflicht“ in der Fair-Talk-Reihe„After Dark“ u. a. auch über die allgemeine Arbeitsweise in deutschen Staatsanwaltschaften und nach welchen Kriterien Staatsanwälte dienstlich beurteilt werden.

Da ich selbst immer wieder auch im radverkehrspolitischen Bereich
lächerlich begründete Abfuhren von ihre eh schon überfüllten Tische freihalten wollenden Staatsanwaltschaften erlebe – und auch selber sehr Ähnliches damals im Finanzamt erleben musste (wo die Fallzahlen auch ins absolut Aberwitzige gesteigert wurden) – bestätigen die Schilderungen von Jungbluth (der übrigens wie ich
auch, fast zwei Jahre wegen des Gessler-Lappens nicht mehr in Supermärkten oder beim Arzt war) aus seiner Zeit bei der StA Saarbrücken voll und ganz meine Vermutungen.

Transkript

Noch ganz kurz, du hattest den Begriff der Beurteilung genannt. Das fand ich auch interessant, weil das ist auch ein Begriff , der in der Justizkarriere ganz wichtig ist; kann ich vielleicht auch noch kurz reinschmeißen.

Man kriegt als Beschäftigter in der Justiz, als Richter oder Staatsanwalt, kriegt man eine dienstliche Beurteilung. Und die ist dafür entscheidend, ob man Karriere macht. Ob man halt Oberstaatsanwalt wird. Oder vorsitzender Richter. Oder zum Landgericht geht; Oberlandesgericht. Und daran orientieren sich dann letzten Endes alle. Und die Beurteilung – zumindest so, wie ich es kennengelernt habe – hat sich in erster Linie daran orientiert,ob man seinen Laden dahingehend im Griff gehabt hat, dass das Ding nicht explodiert ist.

Also mal in Zahlen; ich hab damals angefangen in meinem Dezernat, nennt sich das als Staatsanwaltschaft, 150 Verfahren am Laufen. Die sind dann schon aktiv geschaltet; hab ich von meinem Vorgänger übernommen oder meiner Vorgängerin. Und da musste ich halt kucken, weil jeden Monat ungefähr auch nochmal die gleiche Zahl reingekommen ist, dass ich immer so viele Sachen beende, pro Monat, wie auch wieder neu reinkommen. Also so Pi mal Daumen so zwischen 120 und zum Höhezeitpunkt waren es mal 200 Verfahren gewesen. Da kommste gar nicht mehr hinterher.


Spock: Pro Monat?


Pro Monat, jaja.


Spock: Krass!


Und da macht man halt aber ganz Zackzack die Sachen weg. Und dann ist es erstmal prinzipiell auch egal. Es gibt ja – wenn ich das noch kurz ausführen darf, bevor wir zur Fehlerkultur dann im Spritzenbereich kommen; oder im Corona-Bereich. Es gibt als Staatsanwalt zwei Möglichkeiten, Verfahren abzuschließen; im Groben. Oder drei: Man stellt das ein, weil man kann keinen hinreichenden Tatverdacht irgendwie nachweisen. Gegen eine Geldauflage. Oder, weil es halt ein Bagatellding ist beim ersten Mal. Also, hat irgendwer, was weiß ich, ’ne Flasche Bier geklaut; war das erste Mal, dann wird das eingestellt wegen Geringfügigkeit.

Oder, man (…) schreibt eine Anklageschrift, also erhebt Anklage. Oder man beantragt einen sogenannten Strafbefehl. Das ist dann wie ein Urteilsverfahren, aber nur im schriftlichen Wege. Ja, alles zur Verfahrensvereinfachung, -abkürzung, et cetera pp. So. Und jetzt ist es halt so, wenn man ein Urteil in der Anklageschrift schreibt, oder so einen Strafbefehlantrag schreibt, dann muss man halt alles reinnehmen. Was ist passiert? Wann? Wo? Welche Zeugen hat man? Welche Beweismittel? Blablabla. Das dauert dann halt im Zweifel ein Bisschen. Insbesondere, wenn das so ein dicker Oschi ist; ja, teilweise unübersichtlich. Vielleicht ein Serienstraftäter der, keine Ahnung, seit drei Jahren aktiv ist. Das muss man alles einzeln auflisten. Am 01.01. hat er das gemacht, am 02.05. das gemacht. Das ist Arbeit ohne Ende.


Spock: Ich hab das grad mal ausgerechnet. 150 Verfahren im Monat, bei 21 Arbeitstagen bedeutet: An einem Tag hat man sieben …


Ich hatte als Formel sechs, hatte ich mir ausgerechnet gehabt. Sechs muss ich erledigen pro Arbeitstag.


Spock: Das heißt, bei einem Acht-Stunden-Arbeitstag hast du ein Bisschen über eine Stunde, wenn alles gut läuft und keiner zwischendurch anruft, oder …


So kommt das hin.


Spock: So, und wenn du jetzt da eine Drei-Jahres-Akte durchlesen musst? In einer Stunde; könnte eng werden, oder?


Wird eng; die hab ich mir ins Wochenende immer mitgenommen, weil die sozusagen als Bonus gelaufen sind. Das heißt, ich hatte oft Sieben-Tage-Wochen gehabt.


Spock: Das wurde bestimmt als Überstunde bezahlt? Richtig?


Nee nee, da wird man nicht bezahlt für. Ich hab mir mal ausgerechnet, meinen Stundenlohn. Der hat am Mindestlohnbereich gekratzt, damals. Ja, man muss auch sagen: Saarbrücken war besonders (…) belastet gewesen. Da gibt es ja so Statistiken. Aber in der Tendenz ist es überall ähnlich. Worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist: Genauso haben alle gerechnet. Wie viel muss ich am Tag wegmachen? Auf gut Deutsch gesagt. Und da gibt es halt zwei Möglichkeiten: Entweder eine Einstellung. Und die kann ich schnell machen. Das ist alles jetzt mit EDV: Klickklickklickklickklick.


Spock: Und kein Anfangsverdacht? Ne, wie bei Tschentscher?


Das ist am allereinfachsten, ja. Aber meistens ist es halt so eine Einstellung wegen Geringfügigkeit. Das ist sehr beliebt; klickt man halt weg. Oder halt kein Anfangsverdacht oder kein hinreichender Tatverdacht. Und dann hat man keine Arbeit mehr damit. So, das heißt aber dann im Umkehrschluss, dass man natürlich auch lieber diese dicken Verfahren lieber auch mal einstellt. Ja, und zwar auch die, wo es halt richtig um die Wurst geht und wo es schwierig ist. Weil wenn man sich damit ewig aufhält: die Zeit schenkt einem keiner.

Und das führt dann sozusagen zu der paradoxen Situation, im Groben, dass die Bagatellverfahren, die man relativ schnell auch als Anklagen machen kann; dann klickt man nämlich auch nur Textbausteine an. Beispielsweise Schwarzfahren. Da fügt man nur ein das Datum und noch was man sich irgendwie vielleicht als Strafmaß vorstellt, oder so. Ein Zeuge, hier der Schaffner Pipapo. Und dann hat man einen Fall erledigt und hat das halt als Anklage oder Strafbefehl. Und die großen Sachen stellt man halt ein, weil man sonst einfach nicht zurechtkommt, auf gut Deutsch gesagt. Und das ist natürlich eine Verkehrung der ganzen Angelegenheit.


Jens Lehrich: Weil eigentlich die großen Sachen viel mehr Aufmerksamkeit bräuchten.


Genau. Und in Saarbrücken kam noch verschärfend dazu, was diese Tendenz erst richtig manifestiert hat, oder ausgelöst hat. Dass wir so eine inoffizielle Quote hatten. Das nannte sich pönale Quote. Ist nie zugegeben worden, dass die existiert. Aber das war ein geflügeltes Wort. Pönale Quote hieß, dass wir 20 Prozent unserer Verfahren mussten wir anklagen oder als Strafbefehl erlassen. Weil die Leitung genau wusste, wenn die das nicht machen, wird alles nur eingestellt. Ja, oder fast alles nur eingestellt; außer, wo es halt evident ist. Das heißt, wir wurden per inoffizieller Dienstanweisung angeordnet – oder, was heißt „angeordnet“; es wurde nie so ausgesprochen. Aber wenn man diese pönale Quote nicht erfüllt hat, dann isses in diesem Beurteilungsgespräch; wurde einem das vorgehalten. „Warum haben Sie denn nur 15 Prozent der Fälle angeklagt? Das ist ein Bisschen wenig.“


Jens Lehrich: Es hätten 20 Prozent sein müssen.


Hätten 20 Prozent sein müssen, genau. Und das ist natürlich grob Rechtsstaats-, also widerspricht allen Prinzipien.


Jens Lehrich: Das heißt, man weiß, da sind dann einige angeklagt worden, die eigentlich gar nix verdient hätten als Strafe?


Man hätte es durchaus anders machen können. Durchaus. Und das ist; ich sag immer, das ist Entscheiden nach Zahlen; oder Richten nach Zahlen. Nichts anderes, in der Justiz. Und da muss man sich natürlich, jetzt, wenn die Corona-Nummer kommt, nicht wundern.


Jens Lehrich: Diese zusätzlichen Verfahren, die da jetzt …


Das sind zusätzliche Verfahren. Und dann stinkt das jetzt natürlich irgendwie auch noch.Und vielleicht hat man selber Angst. Aber vor allem weiß man: Damit macht man sich überhaupt keine Freude, wenn man jetzt hier die Maskenpflicht aufhebt.


Jens Lehrich: Das heißt, dass wenn man alles, möglichst schnell …


Schnell weg, möglichst wenig Aufwand. Es gibt zwei Entscheidungsparameter in meinen Augen, in der Justiz. Jetzt auch mal ein Bisschen pauschalisierend gesagt, aber das kann man schon durchaus so formulieren: So schnell wie möglich die Akte vom Tisch, Punkt 1. Und keinen Ärger bekommen.

Und Ärger bekommen heißt, jetzt juristisch von der nächsten Instanz nicht aufgehoben werden. Das sieht nämlich auch schlecht aus im Beurteilungsgespräch, wenn man immer kassiert wird vom nächsthöheren Gericht. Und kein Ärger natürlich jetzt irgendwie von Vorgesetzten oder Politik. Das läuft dann natürlich auch so durch die Blume. Ja, weil angeblich sind Richter ja unabhängig. Aber man weiß halt genau, was man zu machen und was man nicht zu machen hat. Ansonsten, ich hab es glaub ich bei Fair Talk damals auch erwähnt, ist Edeka. Ende der Karriereleiter. Bumm. Und so erklärt sich auch, ganz logisch, dass die Gerichte hier überhaupt kein Eigeninteresse daran haben, was sie als Menschen haben sollten, die sogenannten Corona-Maßnahmen aufzuheben.


Anmerkung

Dies ist ein Repost eines am 9. Mai 2022 veröffentlichten Beitrags, den ich anlässlich der Schließung des alten Blogs gelöscht hatte. Ich halte ihn bzgl. der allgemeinen Aussagen zur Arbeitsweise in deutschen Staatsanwaltschaften und Gerichten weiterhin für äußerst erhellend und werde gelegentlich darauf verweisen.


Siehe auch

Coronoia: Subsumtionsautomaten

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