Dieser stinkende Kadaver eines einstmals gut laufenden Blogs selbst ist eigentlich einer von vielen Gründen, die im Titel gestellte Frage mit einem lauten „Nein!“ zu beantworten. Denn die folgende Rezension liest niemand mehr. Außer derjenige (der sogenannte Klage-Sponsor), der mir im letzten Jahr dieses Buch von Rutger Bregman geschenkt hatte, auf welches er durch irgendeine Fußnote in einem anderen Buch aufmerksam wurde. Er meinte, er täte mir Misanthropen damit etwas Gutes. Oder er könne mich zumindest anstacheln, gegen die Argumente des Autors anzuschreiben. Weil er als unverbesserlicher Frömmler selbst nach all dem, was mir während und vor allem nach Corona angetan wurde, nicht von seinem Glauben ans „Gute“ im Menschen abrücken will.
Dieser Glaube ist nämlich bequem. Er legitimiert die eigene Passivität gegenüber den schreienden Ungerechtigkeiten dieser Welt. Wobei auch er nicht grenzenlos von der Gutartigkeit des Menschen überzeugt ist, denn auch er hegt Vorbehalte gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen, welche sich u. a. im Ankreuzen einer mehr als fragwürdigen Partei bei der letzten Bundestagswahl manifestierten. Einer menschenfeindlichen Partei, die vor allem auch sich dem Hamsterrad verweigernde Menschen wie jenen Lebenskünstler, den auch er in letzter Zeit immer mehr vernachlässigt, noch härter rannehmen und unterjochen möchte.
Mit solchen Widersprüchen kommt er nicht klar. Er reagiert darauf nicht. Ignoriert es. Wie zum Beispiel auch den Völkermord in Gaza. Noch kein einziges Mal kam von seiner Seite irgendeine Anmerkung oder Reaktion zu dem, was der israelische Staat seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen betreibt. Nichts. Kein Mitgefühl. Keine Empathie mit den Tausenden von abgeschlachteten Kindern. Sind ja nur irgendwelche Araber am Arsch der Welt? Selbst bei einer Ansprache meinerseits erfolgt keine relevante Reaktion oder Zustimmung. Nur Schweigen.
Wie auch der Autor des Buches. Es ist schon irgendwie grotesk, dass ich erst neulich bei X zufälligerweise über einen Kommentar von Rutger Bregman zu den Vorgängen in Gaza gestolpert war. Bis dahin wusste ich gar nicht, dass er überhaupt auf dieser Plattform unterwegs ist. Am 15. Mai postete er den folgenden Beitrag.
Es war (laut Suchfunktion) das erste Posting von ihm mit dem Wort „Gaza“ überhaupt. Warum – verdammt nochmal! – erst jetzt? Der Mann ist seit Oktober 2010 bei Twitter. Warum bedurfte es erst einer Untersuchung führender Völkermord-„Experten“, dass er zu diesem Thema erstmals seinen Mund aufmacht?
Er, der ein Buch darüber geschrieben hat, dass der Mensch „Im Grunde gut“ wäre. Wie „gut“ ist das Volk der Israelis, welches dieses brutale Abschlachten unterstützt? Das, was in Gaza geschieht, widerlegt ihn und seine naive Ausgangsthese vom guten Menschen vollständig. Sein lange währendes Schweigen selbst ist der eindeutige Beleg für das, was er in seinem Buch anspricht – und scheinbar zu widerlegen glaubt: Wie machtvoll medialer und politischer Konformitätsdruck auch auf Menschen wie ihn, der sich für einen Experten in Sachen Soziologie hält, wirkt. Er selbst hat versagt – beim Konformitätsexperiment von Asch.
Ich empfand schon das Lesen des Prologs gerade im Schatten der Vorgänge in Gaza für zynisch. Er beschreibt darin, wie pragmatisch und teils humorvoll die Bevölkerung der von den Nazis zerbombten britischen Städte im zweiten Weltkrieg mit dem unsagbaren Leid und Elend umging. Dass nicht die nackte Anarchie ausbrach und dass durch den Bombenterror auch nicht der Lebenswille der Menschen gebrochen worden sei.
Das mag vielleicht sogar stimmen; schließlich handeln auch die meisten Einwohner des Schlachthauses Gazas solidarisch und menschlich; angesichts dessen, was ihnen vom Staat Israel, aber auch dem Rest der Welt angetan wird. Die bregmansche Lesart ignoriert leider nicht nur an dieser Stelle die Ursachen des Leids: Nämlich die abgrundtiefe Bösartigkeit des Menschen selbst. Die Bewohner Gazas können sprichwörtlich nicht im Frieden leben, weil es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Bregman versucht in den folgenden Kapiteln u. a. anhand einer Kritik des Romans „Der Herr der Fliegen“ und der (nicht einmal völlig unberechtigten) Hinterfragung der bekannten soziologischen Experimente von Asch, Standord-Prison und Milgram, das (auch vom Philosophen Hobbes vertretene) Bild, der Mensch sei im Grunde schlecht, zu widerlegen. Trotz des Holocausts, dessen Ursachen und Folgen er ebenfalls aus seiner Perspektive heraus zu erklären versucht. Ich würde auch seine zahlreichen Beispiele dafür, dass Menschen sich in kleineren Gruppen nicht zwangsläufig sofort gegenseitig an die Gurgel gehen, noch nicht einmal als generell unzulässig oder falsch abtun.
Bregman kritisiert in seinem Buch meines Erachtens auch zurecht unsere westliche Form von „Zivilisation“, welche brutales und unsoziales Verhalten letzten Endes sogar fördert und belohnt. Man mag ihm auch nicht dabei widersprechen, dass ein menschlicherer Umgang u. a. mit Strafgefangenen Vorteile gegenüber einer Politik der autoritären Unterdrückung hat. Er spricht sich auch gegen jegliche Formen des Rassismus und für die Förderung demokratischer Partizipation aus.
Alles schön und gut. Entscheidend ist allerdings, was der Mensch anderen Menschen trotzdem immer wieder antut. Nicht nur seit über eineinhalb Jahren in Gaza, sondern auch auf der individuellen Ebene. Ich empfinde jedenfalls keine „Schuld“ an dem, was mir seit Beginn meines Lebens immer wieder von meinen Mitmenschen angetan wurde. Diese Menschen sind und waren nicht „gut“. Weil die Menschen im Allgemeinen nun einmal im Grunde bösartig sind.
Sie benutzen dich – und wenn du keinen Wert mehr für sie hast, schicken sie dich in die sprichwörtliche Wüste zum Sterben. Zwei neulich versendete Kontaktanfragen an einen ehemaligen Bloggerkollegen und eine ehemalige Leserin, die mich damals noch mit Lob (allerdings auch niemals mit nur einem einzigen Cent) überschüttete, wurden im Ergebnis wieder ignoriert.
Eine der übelsten Formen menschlicher Bösartigkeit stellt in meinen Augen nun einmal die Ignoranz dar, die bei sehr vielen inzwischen apathische Ausmaße angenommen hat. Gegenüber dem Leid der ausgehungert werdenden Bevölkerung des Gazastreifens. Oder völlig unbedeutenden, verarmten und isolierten Bloggern wie mir, die in Sachen Corona ihren Mund aufgemacht – und es sich so am Ende mit ALLEN, also auch den sogenannten „Schwurblern“, verschissen haben.
Wozu man bei Bregman bei X übrigens ebenfalls nichts findet, ist der Begriff „Corona“. Sein Buch erschien im Original im Jahr 2019, weshalb es logisch ist, dass man darüber in der später übersetzten deutschen Ausgabe noch nichts findet. Aber auch zu diesem Thema hat er offenkundig über all die Jahre seine Klappe gehalten; eine genauere Recherche diesbezüglich habe ich mir allerdings erspart.
Corona war jedenfalls ein weiteres Beispiel dafür, wie man unter dem Vorwand des Guten (ich hatte genau hierüber während Corona auch mehrere Beiträge verfasst) anderen Menschen unfassbar böse Dinge antun kann. Die Perversion des pseudo-solidarischen Corona-Terrors lag gerade darin, ein Klima zu schaffen, in welchem jeder aufgrund seines potenziell kontaminierten und ungefilterten Atems (bzw. später seines „Impfstatus“) als Bedrohung angesehen und bekämpft werden musste. Homo homini lupus in Reinkultur.
Als mein Kumpel mir dieses Buch in die Hand drückte, fragte ich daher auch als erstes, ob der Autor darin auch etwas über das Thema Corona schreiben würde. Auf der Rückseite des Buches fiel mir auch sofort eine Empfehlung des berüchtigten israelischen Historikers Yuval Noah Harari auf, welcher auch während der „Pandemie“ eine nicht unerhebliche Rolle spielte.
Autoren, die die Themen Corona und Gaza ausblenden, kann ich leider nicht ernst nehmen, wenn es um die Frage geht, ob der Mensch an sich eher gut oder eher schlecht wäre. Mein Urteil fällt vor allem durch die Art und Weise, wie (ignorant) der Rest der Menschheit mit mir tagtäglich umspringt, jeden Tag nur noch härter aus.