„Überwachungsstaat“ im Straßenverkehr?

Eine Nebenwirkung der exzessiven und totalitären „Corona-Maßnahmen“ ist unter anderem die Stärkung neoliberaler und libertärer Gegenbewegungen, welche staatlichen (also letzten Endes auch demokratischen) Einfluss fast vollständig ablehnen. Auch von mir ansonsten geschätzte Autoren wie Norbert Häring, die eigentlich von Hause aus diese politischen Strömungen selbst regelmäßig kritisieren, fallen punktuell auf diese Ideologie herein, indem sie auf eine völlig undifferenzierte Weise den (vermeintlichen) Ausbau des „Überwachungsstaates“ bemängeln. Häring tut dies aktuell in einem kurz gehaltenen Beitrag über die „Operation Snap“, in deren Rahmen britische Polizeibehörden um die Übermittlung von Dashcam-Videos bitten.

Härings Polemik ist ein weiteres Beispiel für das von mir kritisierte Gruppendenken. Die Identifikation als Autofahrer macht die meisten Menschen blind. Sie blenden partout alles an Verfehlungen aus, die die eigene Gruppe begeht. Selbst wenn sie selbst Opfer dieser Handlungen werden. Es entsteht eine regelrechte Wagenburg-Mentalität, in deren Rahmen man sich gegen die vermeintlich ungerechtfertigte Streichung von Freiheiten und Privilegien auflehnt.

Doch welche „Freiheit“ meint Häring überhaupt? Etwa die „Freiheit“, am Steuer mit dem Handy in der Hand zu telefonieren?

Ehrennamtliche Hilfssheriffs mit privaten Kameras sind aufgerufen, Videobeweismaterial einzusenden, wenn sie einen Mitbürger mit Telefon am Ohr beim Fahren erwischen.

Hält Häring also, wie viele Anarcho-Libertäre, es für eine völlig ungerechtfertigte Anmaßung des Staates, dass es überhaupt verboten ist, mit dem dem Handy in der Hand Auto zu fahren? Warum bezeichnet er Menschen, die dieses potenziell für andere Verkehrsteilnehmer aufgrund der Ablenkung sehr schnell lebensgefährlich werden könnende Verhalten anzeigen, als „Hilfssheriffs“?

Plädiert Häring tatsächlich für einen vollkommen regellosen Wilden Westen auf den Straßen? Ist ihm die StVO persönlich egal? Fährt er selbst gerne mal mit dem Handy in der Hand? Oder zu schnell? Auch mal über ’ne rote Ampel? Überholt er Radfahrer an unübersichtlichen Stellen oder mit unzureichendem Abstand? Man weiß es nicht.

Speziell geschulte Mitarbeiter der Polizei sichten das Material und versenden Einladungen zu Nachschulungen, kostenpflichtige Verwarnungen oder Strafanzeigen an die von ihren aufmerksamen Mitbürgern Erwischten.

Ja, das ist wirklich eine schlimme „Überwachung“. Wenn Verkehrsteilnehmer für ihre Verfehlungen im öffentlichen Verkehrsraum, in welchem es, gemessen an den alltäglich begangen werdenden Abermillionen von Verstößen, faktisch überhaupt keine „Überwachung“ gibt, in groben Ausnahmefällen überhaupt mal mit Konsequenzen konfrontiert werden.

Großbritannien ist mit Riesenschritten auf dem Weg zur Schönen neuen Welt voller gehorsamer Untertanen.

Mal grundsätzlich, Herr Häring: Sie können diese „Überwachung“ ganz einfach vermeiden, indem sie sich an die StVO halten? Oder ist „Gehorsam“ gegenüber elementaren Verkehrsregeln auch für Sie kein angemessenes Sozialverhalten in einer aufgeklärten Gesellschaft, sondern indifferente staatliche „Unterdrückung“ um der „Unterdrückung“ wegen?

Fühlen Sie sich als „Untertan“, wenn Sie in Ihrem Pkw vor einem Kindergarten zähneknirschend auf 30 km/h runterbremsen müss(t)en? Ist es für Sie wirklich eine dystopische Vorstellung im Sinne eines Aldous Huxleys (Siehe das Beitragsbild), in einer „Schönen neuen Welt“ leben zu müssen, in der Menschen wie ich mal nicht jeden Tag vorsätzlich oder fahrlässig gefährdet und genötigt werden? Und die Täter trotz Video-Beweismitteln völlig ungestraft davonkommen?

Überwachung?

Was ich auch nicht verstehe: Was genau ist daran überhaupt „Überwachung“? Dashcam-Videos sind (im Gegensatz zu weiten Teilen der EU) in Großbritannien zweifelsfrei legal. Ich beneide die britischen Radfahrer, die ihre Videoclips nicht mittels stundenlanger Bearbeitung verpixeln müssen, ehe sie sie u. a. bei X posten. In Großbritannien dient der vermeintliche „Datenschutz“ (am Ende ja auch nur ein staatlicher Eingriff!) nämlich nicht primär als Täterschutz.

Es gibt u. a. auf Youtube mehrere große deutsche Dashcam-Kanäle. Deren Betreiber und Zuseher es regelmäßig bedauern, dass die Dashcam-Aufnahmen in einer rechtlichen Grauzone entstehen. Es wird auch immer wieder davon berichtet, dass Aufnahmen selbst bei Straftaten nicht angenommen werden. Oder dass gar Gegenanzeigen wegen des „Datenschutzes“ erfolgten. Die Videos bedürfen aufgrund dieser Auslegung des „Datenschutzes“ einer enormen Nachbearbeitung, die teils sogar die Unkenntlichmachung der Aufschriften auf den Firmenfahrzeugen betrifft.

Das, was die britische Polizei hier nutzt bzw. anregt, ist keine Form der (staatlichen) „Überwachung“. Es ist die Nutzbarmachung von Beweismitteln. Nun kann man ggf. noch darüber streiten, ob die Nutzung dieser Beweismittel nur bei einer individuellen Betroffenheit legitim wäre. Oder ob man damit jeden Verstoß, den man als Zeuge wahrnimmt, zur Anzeige bringt. Das werden mit Sicherheit die wenigsten tun. Ich zeige auch nur unmittelbar das an, was mich persönlich betrifft. Und erwarte ansonsten, dass aufgrund anderer Hinweise die Ordnungsbehörden ihre verdammte Arbeit von Amts wegen erledigen. Wogegen sie sich ja allerdings auch vehement wehren. Die Sorgen Härings könnten wahrlich nicht noch weiter von der Realität entfernt sein.

Dashcam-Aufnahmen sind im Übrigen gerade kein Element einer „Überwachung“ im eigentlichen Sinne. „Überwachung“ bedeutet, dass – wie damals am Vierwaldstätter See, als Wilhelm Tell verhaftet wurde, weil er den Gesslerhut nicht grüßte – Fehlverhalten durch unmittelbares Einschreiten unterbunden und geahndet wird. Dashcam-Aufnahmen werden auch nicht in zentralen Datenbanken gespeichert und (teils mittels „KI“) systematisch ausgewertet. Sie sind nicht mehr als ein individuell nutzbares Beweismittel; wie jenes von der heimischen Überwachungskamera, mit der man einen Einbrecher filmt.

Härings Beitrag erinnert mich übrigens auch an die Reaktionen, die ich auf meinen damaligen Beitrag (anlässlich einer vorsätzlichen Erziehungsmaßnahme) erhielt, welche letzten Endes mit die erste Schließung meines Blogs auslösten. Als man mir – als Opfer automobiler Gewalt – gar „Denunziation“ vorgeworfen hatte. Leider hatte ich nie die Lust, auf diesen absurden Vorwurf in einem gesonderten Beitrag einzugehen, hole dies aber ggf. demnächst doch mal ausführlicher nach.

Sperrung auf X

Norbert Häring hatte seinen Beitrag übrigens auch auf X gepostet. Meine Kritik daran führte sehr rasch dazu, dass ein bereits von meinem Usernamen getriggerter Autofahrer seinen ganzen Vorurteilen gegenüber Radfahrern freien Lauf ließ. Ich reagierte darauf mit einer sicherlich sehr schwarzen, aber meiner Meinung nach vollkommen zulässigen sarkastischen Anmerkung, die mir dann eine Sperre wegen einer „gewaltsamen Sprache“ (schöne Grüße von George Orwell!) einbrachte.

Mein Einspruch dagegen wurde zurückgewiesen. Die Sperre hatte ich anschließend folgendermaßen kommentiert:

Es ist echt ein Witz, wofür man auf dieser Witz-Plattform gesperrt wird. Es ist also „gewaltsame Sprache“, einem User, der keine „Überwachung“ der Verstöße im Straßenverkehr mittels der Nutzung von Dashcam-Videos haben möchte, aufzuzeigen, welche Konsequenzen das haben kann?

So hatte ich in klar erkennbarem, schwarzem Sarkasmus u. a. darauf hingewiesen, dass er vielleicht irgendwann mal an einem Stauende stehen wird – und ein besoffener Lkw-Fahrer, welchen man durch mehr „Überwachung“ aus dem Verkehr hätte ziehen können – in ihn reinrauscht.

Genau das wird mir als Radfahrer in solchen Diskussionen nämlich auch permanent „angedroht“. Wenn ganz selbstverständl. feststellt wird, dass ich auf der Straße als schwächerer Verkehrsteilnehmer nichts verloren habe. Und mich früher oder später garantiert jemand totfahren wird.

Bezeichnend daran ist auch, dass jemand, der in seinem ersten Post gleich auf pöbelnde Weise aufgrund meines Usernamens vorurteilsbeladen gegen Radfahrer hetzt – und „Überwachung“ ablehnt, wegen einer ihm nicht genehmen Meinung zum großen Bruder X rennt – und mich sperren lässt.

Bei sehr vielen ist inzwischen überhaupt kein gesundes Maß hinsichtlich der Abwägung zwischen „Freiheit“ und „Überwachung“ mehr vorhanden. Man stirbt lieber am Stauende, als ggf. auch mittels Dashcam-Video präventiv einen Lkw-Fahrer aus dem Verkehr ziehen zu lassen, der früher oder später Menschen umbringt.

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